What I assume you shall assume

Schon fies. Da schreibt auf Zeit-online neuerdings ein Politikstudent und kriegt hier direkt auf die Mütze. Das geschieht aber aus rein pädagogischen Gründen, schließlich ist Kuno als Jungspund auch auf den Schröder reingefallen und will nur helfen. Also: Muss im Jahr 2016 ein Politikstudent im Master zum unkritischen Schulz-Fanboy werden?

„Unser Autor ist Student, seit sechs Jahren in der SPD. Er kann sich keinen besseren Kanzlerkandidaten als Martin Schulz vorstellen. Warum?“

Ja, warum um alles in der Welt? Aber erstmal Poesie: Den Anfang des Artikels ziert ein hübsches Whitman-Zitat aus Song of Myself, das sich auch als Wandtattoo ausnehmend gut macht.

Quelle: geklaut im Internet
Quelle: geklaut im Internet

Ob es Walt Whitman, dem „lonely old grubber“ (Ginsberg), in seinem Endlosgedicht nicht doch auch arg ums Masturbieren ging, wäre eine lustige Randnotiz zur Zitatauswahl, sei aber mal dahingestellt. Die Zeile unmittelbar vor dem Zitat lautet übrigens: „But I do not talk of the beginning or the end“, aber wer versteht schon alles, was in den acht Milliarden Zeilen von Song of Myself steht? Kuno jedenfalls wollte nur mal sein geballtes Halbwissen in Sachen Poesie zur Schau zu stellen und sich jetzt daran erinnern, dass es hier ja um Politik und nicht um Poesie-Gedöns dreht. Los geht’s.

Schulz „appelliert unermüdlich an den europäischen Zusammenhalt“.

Das  muss derselbe Martin Schulz sein, der in der Griechenland-Krise vor allem solidarisch mit Berlin war, während er dem griechischen Premier Tsipras Demagogie vorwarf, den griechischen Finanziminister als „Spaßhansel“ bezeichnete und im selben Interview erklärte, man wolle dem griechischen Volk helfen, aber „ganz sicher nicht der Regierung“, die das Volk ja gerade gewählt hatte. Das ist wahrer Zusammenhalt.

Schulz „wetterte gegen die ungleiche Besteuerung von Großkonzernen“.

Was halt einer macht, der das Must-have eines modernen Politikers hat, nämlich einen „moralischen Kompass“, wie es im Artikel zwangsläufig heißen muss. Zur Not hilft Schulz aber auch seinem Buddy Juncker aus der Lux-Leaks-Patsche und der Artikel hat ganz recht, wenn er Schulz’ Wettern in der Vergangenheit verortet.

Schulz „machte den ,Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit‘ zu seiner obersten Priorität.“

Das war im Wahlkampf 2014, sowohl Wettern als auch Kämpfen sind passé und die europäische Jugendarbeitslosigkeit hat Schulz’ heroischen Kampf  ganz gut überstanden.

Schließlich: „Er könnte bei TTIP versöhnen“.

Genau, z.B. indem er Taschenspielertricks auspackt, um unbequeme Parlaments-Abstimmungen zu TTIP abzuwürgen, die sicher nur unnötig aufgeregt hätten.

Um den Bogen zu Walt Whitman zu schlagen; in Song of Myself finden sich noch zwei vorzeigbare Zitate, die deutlich besser zu Schulz und dem Artikel gepasst hätten:
„Do I contradict myself? / Very well then I contradict myself, / (I am large, I contain multitudes.)“

sowie zu Beginn: „I CELEBRATE myself, and sing myself / And what I assume you shall assume“. Bei Poesie kann das Spaß machen, in politischen Fragen empfiehlt es sich doch eher, kritisch zu denken und weder Wahlkampfprosa noch Wandtattoopoesie für bare Münze zu nehmen.

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