Mitte und Selbsttäuschung

In der aktuellen Zeit darf Slavoj Žižek wieder mal ran. Dem sollte man nicht alles glauben, aber neben dialektischen Gedankenspielchen wartet er mit der These auf, dass Clintons Politik Forderungen nach Gerechtigkeit für Frauen, Afro-Amerikaner, Homosexuelle und andere Minderheiten von der Frage nach sozio-ökonomischer Gerechtigkeit entkoppelt. Da ist was dran.

Nebenbei wollte der Kuno hier wiederum mit seiner These glänzen, nach der in den meisten Zeitungen außerhalb des Feuilletons sowieso wenig Sinnvolles zu lesen ist. Aber dann fand sich in der taz vom Wochenende ein interessanter Artikel zur Lage der Grünen. Bei denen kann man sich gerade ansehen, wie genau das passiert, was Žižek an Clintons Strategie (oder Denkweise, wer weiß das schon) kritisiert. Die Grünen suchen zur Zeit eine neue Parteispitze und vor allem suchen sie den heiligen Gral der politischen Parteien – die Mitte.

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Die Mitte ist orange.

Unter den grünen Kandidaten gilt Anton Hofreiter als der ,Linke‘ (allein schon wegen der Frisur, könnte man denken) und glänzt mit seinem Herz für Normalverdiener, die gerade mal 80000-100000 Euro im Jahr zur Verfügung haben: „Wer die Mieten in meiner Heimatstadt München kennt, weiß, dass da am Ende des Jahres für eine Normalverdienerfamilie nicht viel übrig bleibt.“ Traurig.

Oder rot wie die SPD?

Hintergrund solcher Einlassungen ist sicher die Wahlschlappe von 2013, deren Ursache die Grünen in ihren damaligen Steuerplänen sehen. Nicht ganz unbeteiligt am Desaster waren aber neben den üblichen Verdächtigen (Wirtschaftsverbände, Union, FDP) auch die deutschen Medien, namentlich Spiegel, Süddeutsche Zeitung und Frankfurter Rundschau. Interessant ist hier die Einschätzung des konsultierten Politikwissenschaftlers, der die Berichterstattung der Tageszeitungen im Wahlkampf analysiert hat: „,Das Ergebnis hat uns überrascht, erzählt Scheller. Der Tenor sei meist negativ gewesen, sogar in der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Rundschau, die zum Mitte-links-Spektrum gehören.“ Der Kuno ist weder Politikwissenschaftler noch überrascht. Weil nämlich im Mitte-links-Spektrum genau die Entkopplung stattfindet oder bereits stattgefunden hat, die der alte Zausel Žižek in Hillary Clintons Politik ausmacht.

Die Mitte als Wille und Vortäuschung

Ein wichtiges Detail in diesem Prozess ist sicher auch der Begriff der Mitte, dem alle politischen Parteien wie der Esel der Mohrrübe nachhecheln. Der (,linke) Soziologe Ulf Kadritzke widmet sich in „Die Mitte als Wille und Vortäuschung“ (schöner Schopenhauer-Kalauer) diesem schwammigen, aber auch deshalb enorm wirkungsvollen Konzept.

Doch orange. Und auch irgendwie grün.
Doch orange. Und auch irgendwie grün. Egal. Hauptsache, dem Esel schmeckt’s.

Egal wie man die Mitte definiert, in einer angeblich klassenlosen Gesellschaft wollen alle dazugehören. Die Mitte wird – von der Presse bis zu Wissenschaftlern wie Herfried Münkler – als gemäßigt sowie bereit zu Leistung und Selbstsorge definiert. Übrig bleiben im meist ökonomisch geprägten Begriffsverständnis die Elite irgendwo über den Wolken und eine Unterschicht, die „zum Objekt der Fürsorge und des Forderns ohne Fördern“ wird. Die herrschenden (auch wenn der Begriff überstrapaziert ist: neoliberalen) Denkmuster deuten dann soziale Probleme in individuelle und mentale Probleme der Leistungs- und Antriebsschwachen um. Wer unten ist, wird schon selbst schuld sein. Die zugrundeliegenden Mechanismen sind seit Jahrzehnten bekannt, aber Kadritzke bringt es nochmal schön auf den Punkt:

An der Situation wird sich absolut nichts ändern, „solange es ihr [der Elite] gelingt, der angestellten Krankenpflegerin wie dem tariflosen Cloudworker ein Mitte-Dabeisein vorzuspiegeln und die Lehrerfamilie mit Eigenheim für das Steuervermeidungsinteresse der Plutokraten einzuspannen. Auf die Selbsttäuschung dieser Mitte kann die Machtelite zumindest so lange zählen, wie ihr auf dem Feld der Begriffspolitik die Betreiber der Ungleichheitsforschung und der Themensalons zur Hand gehen.“ Wer auch immer diese Elite genau sein mag – Macht bedeutet eben auch immer Macht über den Diskurs.

Auch wenn man konzidiert, dass die Grünen (vielleicht auch als Trostpflaster für die Agenda-Reformen, die sie mitverantwortet haben) sich im Wahlkampf 2013 wirklich sozialer positioniert haben und sich sogar heute noch über das Thema Steuergerechtigkeit streiten¹ – es ist klar, wohin die Reise geht. Ohnehin schon eine Partei der Besserverdiener, werden die Grünen sicher weiterhin Gerechtigkeit für alle möglichen Minderheiten einfordern (Kretschmann oder der nervtötende Boris Palmer mal ausgenommen), aber eben nicht für die Unterschicht. Und wenn sogar der angeblich linke Hofreiter krampfhaft versucht, Spitzenverdiener zur gesellschaftlichen Mitte zu zählen, dann illustriert das, wie gut Kadritzkes „Selbsttäuschung dieser Mitte“ funktioniert. Die Parteifarbe spielt dabei schon länger keine Rolle mehr.

Und so weit von den USA, die man ja hierzulande gerne so irre findet, ist das alles gar nicht entfernt.

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¹ Der langwierige Streit innerhalb der Grünen wird hier und da mit Häme verfolgt. Ebenfalls in der taz konnte man übrigens die Einschätzung einer Politikwissenschaftlerin der LMU lesen, durch die TINA-Rhetorik, die von Thatcher bis Merkel „die eigene Sachlichkeit und vermeintliche ideologische Neutralität inszeniert“, glaubten wohl manche Bürger (und sicher auch manche Journalisten), „Dissens sei in einer Demokratie etwas Illegitimes.“ Der Kuno wird die Grünen sicher nicht wählen, bevorzugt aber immer noch Parteien, die sich streiten, statt Dissens – wenn überhaupt – als letztlich unpolitisches Kasperletheater aufzuführen wie es etwa die Union tut.

 

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