Die Theatralisierung des Abendlandes

Tragödien, überall Tragödien. Wenn ein Politiker (wahrscheinlich) Drogen nimmt, ist das eine Tragödie, letztes Jahr gab es die griechische Tragödie zu bestaunen, dieses Jahr die Fluchtlingstragödie und jetzt sogar beides zusammen. Frisst das Theater die Realität, also das Abendland? Und was für ein Stück wird da eigentlich aufgeführt?
Herakles_Musei_Capitolini

Deutschlandradio Kultur weiß: „Unsere Bundeskanzlerin durchlebt im wahrsten Sinne des Wortes ein griechisches Drama. Homer hat es erzählt. Eine Herkulesaufgabe hat Angela Merkel zu bewältigen.“ Im politischen Feuilleton zu behaupten, Homer habe Dramen erzählt, klingt auch irgendwie dramatisch, aber dann doch eher nach Komödie. Und während in der attischen Tragödie gute und böse Charaktere ihrem Schicksal entgegengehen, ist für Witzfiguren das Format der Komödie reserviert.

Kurz
Der österreichische Außenminister Kurz etwa, der noch vor einigen Jahren mit dem „Geilomobil“ durch Österreich tourte (Motto: „Schwarz macht geil!“, inklusive fescher Hostessen, Kondomverteilung und was seriöse Politik sonst so ausmacht), passt da recht gut. Heute will der Mann sich ja als harter Hund (oder, um auf dem Niveau des Deutschlandradio-Feuilletons zu bleiben, als erymanthische Wildsau) profilieren und stellt klar, sein Land sei mit der Aufnahme von 90 000 Flüchtlingen im Jahr 2015 „schlicht und ergreifend überfordert“. Ergo: Grenzen dicht bis runter nach Mazedonien, sollen die Griechen doch alleine klarkommen.

Kürzungen
Griechenland hat zwar im Jahr 2016 bereits über 130 000 Flüchtlinge aufgenommen und ist nach Jahren der Kürzungen wirtschaftlich völlig am Boden (Frontspoiler: der Autor ist griechischer Ökonom), aber wen interessiert es schon, wenn dadurch an der türkischen Grenze nur noch ein (in Zahlen: 1) Polizeiauto patrouilliert?

Das klingt zwar so, ist aber eigentlich gar nicht lustig und man könnte hier feuilletonistisch in Richtung des sozialen Dramas abbiegen, das im 19. Jahrhundert die klassische Tragödie ablöste und in dem die Armut die Rolle des Schicksals übernahm. Passt aber auch nicht, weil die Absurdität des Schauspiels dafür viel zu offensichtlich ist.

Alles „nicht unzumutbar“, sagt etwa Thomas de Maizière, der gerade noch in Nordafrika unterwegs war, um ein paar neue sichere Drittstaaten zu finden und dabei interessante Zugeständnisse machte.

Merkel sekundiert: Griechenland müsse seine Rückstände jetzt „in Windeseile“ aufholen.

Martin Schulz zieht die eurpäische Karte: „Wenn wir 30.000 von den Flüchtlingen, die sich jetzt in Griechenland stauen, verteilen würden, wäre das eine enorme Entlastung für das Land.“

Aber leider kann Viktor Orban nicht bis Eins zählen: „Schon die Zahl eins wäre für uns zu viel.“

Komödie
Und so bewegt sich die Analyse dann doch langsam, aber sicher in Richtung der Komödie. Lässt sich denn die Flüchtlingsfrage nicht wenigstens mit Geld lösen?

Peter Altmaier ist sich sicher: „Flüchtlinge handelt man nicht gegen Geld.“

Okay, aber Tauschhandel geht dann doch. Für jeden illegalen Flüchtling soll ein legaler aus der Türkei aufgenommen werden (wobei die Art der Einreise, legal oder illegal, natürlich nichts über den Schutzanspruch aussagt), Geld und politische Zugeständnisse bekommt Ankara auch noch dafür.

Und während UN-Generalsekretär Ban Ki Moon Merkel dafür lobt, dass sie den „Schutz jedes einzelnen Menschen” ins Zentrum der Politik stelle, sorgt sich der UN-Kommissar für Flüchtlingsfragen wegen des Türkei-Deals um „pauschale Rückführungen“ auf wackeliger völkerrechtlicher Basis und fügt sich ein in die endlose Reihe derer, die in den letzten Jahren europäische Werte eingefordert haben.

Keine guten Aussichten

Und die Griechen? Die sitzen auf ihrem Drama, das schwer nach einer Dürrenmattschen Komödie aussieht. Darin kann es zwar durchaus tragisch zugehen, aber Absurdität und Groteske bestimmen eine Handlung, die erst dann vollständig ist, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat. Gedemütigt, kaputtsaniert und in der Flüchtlingskrise sich selbst überlassen wurde Griechenland bereits – mal sehen, ob noch mehr Akte folgen und wie es dem Rest Europas so ergeht. Schuldige und Verantwortliche gibt es in Dürrenmatts Theater übrigens keine: „Alle können nichts dafür und haben es nicht gewollt.“

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